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Historische und gesellschaftliche Rolle

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WAS BEDEUTET ADEL HEUTE?

Im Prinzip nichts. Rechtlich gibt es ihn in Deutschland nicht mehr, seit er durch die Weimarer Verfassung abgeschafft wurde. Die früheren Adelstitel sind heute nur noch nachgestellte Namensbestandteile, eine „Fürstin Gloria“ beispielsweise existiert nicht.
Sie heißt Gloria Prinzessin zu Thurn und Taxis. ……
Die kostenpflichtigen Umtriebe gewisser Adoptionsartisten und Titelhändler begründen also nichts als den wahrscheinlichen Einzug ihrer Kunden in die bunten Illustrierten. Und die „Chefs“ der Adelshäuser wie der „Welfen-Chef“ Ernst-August sind dies nur aufgrund familieninterner Hausgesetze. Insofern ist der Adel als gesellschaftliche Kategorie im heutigen Deutschland eine Erfindung der Regenbogenpresse – und wohl deshalb höchst lebendig.

WELCHE RÄNGE HAT DER ADEL?

Kaiser, Könige, Herzöge, Fürsten und bessergestellte Grafen bildeten den Hochadel, Grafen, Freiherren und Ritter bis zum Adel ohne Titel, den wir nur noch an einem „von“ vor dem Namen erkennen, den niederen Adel.
Als „Uradel“ bezeichnet man Familien, deren Abstammung über das Jahr 1350 hinaus oft bis zu Karl dem Großen reicht – später adelten Kaiser und Könige ihre Getreuen durch einen Adelsbrief, und es entstand der weniger hoch angesehene Briefadel.

WOHER KOMMT DER ADEL?

In Europa lassen sich in schriftlichen Quellen keine Epochen ohne Adel im Sinne vererbbarer Herrschaft nachweisen.
Als Entstehungsgrund in allen vorindustriellen Kulturen gelten militärische Erfolge und wirtschaftliche Stärke, aus denen sich der Anspruch auf Führung ergab. Durch die nach und nach eingeführte Vererbbarkeit der Titel bildete sich der Adel als führende Gesellschaftsschicht.
In den meisten europäischen Kulturen begann sein Aufstieg mit der Überwindung der frühmittelalterlichen Stammesstrukturen:
Die neuen Herrscher musste ihre Macht durch stammesunabhängige Ministeriale absichern, die in den Adelsrang aufstiegen und mit Lehen, meist in Form von Ländereien, bedacht wurden.
Später wandelte sich der Adel zur kriegerischen, über Ländereien und unfreie Bauern herrschenden Schicht, bis er während des Absolutismus den Höhepunkt seines Einflusses erreichte.
Adelsrang im Schnelldurchlauf erwarb sich zuletzt der Korse Napoleon Bonaparte, der es vom republikanischen Soldaten zum General brachte und sich später zum erblichen Kaiser krönte.
Mit der französischen Revolution begann der Abstieg.
Dennoch bildet der Adel auch heute noch eine recht geschlossene Schicht mit eigenen Lebensformen und einem hoch entwickelten Standesbewusstsein, das sich auch immer wieder in der Wahl der Ehepartner zeigt.

WIE REAGIERTE DER ADEL AUF REPUBLIK UND INDUSTRIALISIERUNG?

Während der Adel in Frankreich und England seine Söhne in die neuen bürgerlichen Herrschaftsberufe, in Banken, Politik und Finanzwesen schickte, versuchte er in Preußen, am alten Lebensstil festzuhalten.
Das Ergebnis: ein Adelsproletariat ohne Ausbildung und Einkommen, empfänglich für radikale Heilsversprechen.

WIE HAT SICH DER ADEL IN DER NAZI-ZEIT VERHALTEN?

Höchst unterschiedlich. Schon im Kaiserreich teilten völkische Bewegungen und Teile des Adels den Antisemitismus, nach dem Ersten Weltkrieg trafen sie sich im militärischen Milieu und agitierten gemeinsam gegen den Sozialismus und die organisierte Arbeiterschaft, später auch gegen die Weimarer Verfassung und die Folgen des Versailler Vertrags.
Viele jüngere Adlige sahen die SS als künftige Elite an und sympathisierten mit ihr, Ältere verachteten zwar Hitler, glaubten aber, er könne ihnen den Kaiser zurückbringen. Auch der diplomatische Dienst entfaltete traditionell eine große Anziehungskraft auf weltgewandte und parkettsichere Adlige – damit waren sie in das Herrschaftssystem eingebunden und wurden zu Helfern der Nazi-Verbrechen, wie die derzeitige Debatte über die Rolle des Außenamts bei der Judenvernichtung zeigt.
Allerdings sind in vielen Familien einige zu den Nazis übergelaufen, während andere im Widerstand aktiv waren. ……………..

TAGESSPIEGEL, 31.10.2010