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„Die Rolle des Adels in der Weimarer Republik“

von Jürgen Gansäuer M.A., Landtagspräsident a.D.

Wir tun uns, auch 75 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, mit der Bewertung der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts schwer. Die emotionalen Debatten um die Entschädigung der preußischen Hohenzollern und die Mitfinanzierung der öffentlichen Hand bei der Sanierung der Marienburg beweisen dies erneut. Verwunderlich ist dies jedoch nicht. Zu viel Empörenswertes ist geschehen, zu oft wurden fundamentale Grundsätze der Menschlichkeit verletzt. Eine Analyse der Hohenzollern- und Welfengeschichte für diesen Zeitraum greift jedoch zu kurz, wenn das historische und kulturelle Geschehen vom Hochsitz unserer Tage aus beurteilt wird. Die Erfahrungen der Jahre zwischen 1933 und 1945, einschließlich der Schoah, standen den Menschen der Weimarer Republik nicht zur Verfügung. Sie verschaffen uns heute einen anderen Blickwinkel, der gleichwohl die Komplexität einer um Sachlichkeit bemühten Beurteilung nicht vermindert. In diesem Sinne begrüße ich die Initiative von Stefan Wenzel. Mein Respekt gebietet aber zugleich Offenheit, denn die Motivation seiner Initiative entspringt sicher nicht nur einem altruistischen Impuls oder einem wissenschaftlichen Aufklärungsbedürfnis, sondern hat unzweifelhaft auch eine legitime politische Zielsetzung.

Wer die „Rolle des Adels in der Weimarer Republik“ in diesem Zusammenhang bewerten will, kommt deshalb nicht umhin, einen größeren Radius zu ziehen. Dabei sollte klar sein, dass auch auf der Grundlage eines sachorientierten Beurteilungsbemühens individuelle Erfahrungen, politische Überzeugungen und subjektive Einsichten eine gewichtige Rolle spielen. Sie umfassen bewusst und unbewusst nicht nur die Zeitspanne der Weimarer Republik und des „Tausendjährigen Reiches“, sondern beziehen ein Geschehen mit ein, das die gegen jedwede Partizipation gerichtete Verhaltensweise des Adels nach dem Wiener Kongreß mit umfasst. Die Annullierung des Staatsgrundgesetzes durch den hannoverschen König Ernst August im Jahr 1837 und das Scheitern der Frankfurter Reichsverfassung 1849 sind nur zwei Beispiele von vielen, an die man in diesem Kontext erinnern könnte. Die Beanspruchung eines „höheren Menscheins“ durch den Adel schwingt immer mit, wenn es um ein Urteil über eben jene Personengruppe geht, die sich entsprechend dem von ihr behaupteten „Geblütsrecht“ z.T. noch heute für etwas Besonderes hält, obwohl sie die politischen Geschicke unseres Landes oft in verhängnisvoller Weise beeinflusst hat.[1] Dabei gebietet es die historische Correctness, „den Adel“ im Kontext mit dem Nationalsozialismus nicht pauschal unter Verdacht zu stellen. Marion Gräfin Dönhoff z.B. hat die schwierige Situation der Männer des 20. Juli in ihrem Buch „Um der Ehre willen“ beeindruckend geschildert.[2]

Niemand kann sich bei der Entschädigungsfrage für das Haus Hohenzollern und die Mitfinanzierung der millionenschweren Restauration der Marienburg von diesen Eindrücken völlig frei machen, denn selbst ein objektiver Standpunkt ist immer auch ein Standpunkt. Bei den Welfen wird eine Urteilsfindung jedoch noch dadurch erschwert, weil sich die bei den Versteigerungen erzielten Millionenbeträge, die ausdrücklich auch für die Restauration der Marienburg vorgesehen waren, auf eine bis heute nicht transparent dargelegte Art und Weise in Luft aufgelöst haben. Auch dieser Tatbestand hat die öffentliche Meinung bis heute nachhaltig beeinflusst. Es ist daher nicht ganz leicht, sich vor diesem Hintergrund um ein von Emotionen und Empfindungen befreites Urteil zu bemühen. Gleichwohl haben auch die heutigen Nachkommen der preußischen Hohenzollern und Welfen einen Anspruch auf Fairness. Rabatt aufgrund des Herkommens gehört in einem demokratischen Rechtsstaat jedoch nicht dazu, denn trotz ihrer jeweiligen beeindruckenden Genealogie sind Adlige, Gott sei Dank, Menschen wie du und ich. 

Ausgangspunkt der heutigen Debatten um die Ansprüche der von den Sowjets nach 1945 enteigneten preußischen Hohenzollern auf dem späteren Gebiet der DDR, ist das sogenannte Ausgleichsleistungsgesetz von 1994. In § 1 Absatz 4 ist festgehalten, dass Leistungen nicht gewährt werden dürfen, wenn „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit […] verstoßen“ und dem „nationalsozialistischen oder kommunistischen System […] erheblich Vorschub geleistet wurde.“ Dieser, in juristischer Unschuld verfasste Satz aus dem Bundesministerium der Justiz ist erstaunlich, denn mit ihm wird die finanzielle Dotation des Staates an ein Kriterium gebunden, das expressis verbis unterschiedliche Beurteilungen nicht nur erlaubt, sondern geradezu herausfordert. Und genauso ist es gekommen, denn allein der Begriff „erheblich“ lässt eine interpretatorische Spannbreite zu, die weder wissenschaftlich noch politisch zu schließen ist. Die unterschiedlichen Beurteilungen qualifizierter Historiker verwundern deshalb nicht. 

Unbestritten ist die politische Nähe der Söhne Kaiser Wilhelms II., des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm (1882-1951) sowie seines Bruders August Wilhelm (1887-1949) zu den Nationalsozialisten. Letzterer war bereits im April 1930 der SA beigetreten und wurde 1933 zum Obergruppenführer im Range eines Generals ernannt. Der ehemalige Kronprinz unterstützte Adolf Hitler wo immer er konnte und trat öffentlich mit Armbinde und Hakenkreuz auf. Er war sich nicht zu schade, Adolf Hitlers Kandidatur bei der Reichspräsidentenwahl 1932 zu unterstützen und dem „Führer“ 1940 zur Eroberung der Niederlande und Belgiens zu gratulieren. Einem weiteren Sohn, dem im Jahr 1888 geborenen Oskar, soll Wilhelm II. erlaubt haben, in die NSDAP einzutreten.[3] Ziel der Hohenzollern, einschließlich des im holländischen Exil lebenden ehemaligen Kaisers, war die Restitution der Monarchie.

Trotz der Vielzahl von Ereignissen, die eine Nähe zu Hitler und der NSDAP nahelegen, kommt der Historiker Christopher Clark in seinem Gutachten zu dem Urteil, dass der ehemalige Kronprinz Wilhelm zu unbedeutend gewesen sei, um Einfluss auf die Errichtung einer NS-Diktatur gehabt zu haben. Bei allem Respekt vor dem sympathischen Wissenschaftler scheint er die Wirkungen auf eine Gesellschaft, die existenzielle Probleme mit einer dramatisch hohen Arbeitslosigkeit, verbunden mit schweren politischen Verwerfungen im Gefolge des ersten Weltkrieges hatte, nicht hinreichend realistisch einzuschätzen. Die Zeit des Kaiserreiches war in der Weimarer Republik für eine Vielzahl von Menschen bürgerlicher und adliger Herkunft eine verklärte „gute alte Zeit“. Der Konkurs der Monarchie wurde deshalb mit der „Dolchstoßlegende“ eines im Feld angeblich unbesiegten Heeres und der Empörung über die im „Versailler Friedensvertrages“ erzwungene Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld des Reiches bemäntelt.[4]

Nikolaus von Preradovich, Historiker an der Universität Graz, hat einmal geschrieben, dass „die Nationalsozialisten keinerlei Mangel an Prinzen gehabt hätten“.[5] Die Feststellung des Österreichers weist darauf hin, dass große Teile des Adels politisch hinter der Machtübernahme durch die NSDAP standen und diese auf unterschiedliche Weise gefördert haben. Darüber hinaus dürfte die Beschreibung in der Süddeutschen Zeitung vom 7. August 2019 über die Beziehungen des Adels zu Hitler und seinem Umfeld die Lage zutreffend wiedergeben: „Eines steht mittlerweile fest: Der adelige Widerstand war wesentlich kleiner als allgemein angenommen.[6] Die Haltung der Hohenzollern, also des ehemaligen Kaisers und seiner Söhne Wilhelm, August Wilhelm und Oskar, haben ohne Zweifel dazu beigetragen, die Nationalsozialisten gesellschaftlich salonfähig zu machen. Ob diese Feststellung von den heute politisch Verantwortlichen geteilt wird und bereits den Tatbestand „erheblich“ erfüllt oder nicht, müssen andere beurteilen. Leicht ist das nicht, denn wie immer die Entscheidung ausfällt, Kritik wird sie in jedem Fall hervorrufen!

Die Probleme der Restauration der Marienburg, im heutigen Ortsteil Schulenburg in der Stadt Pattensen gelegen, sind mit der Hohenzollernproblematik nicht zu vergleichen. Unbestreitbar ist jedoch auch in diesem Fall, dass das Welfenhaus von den Kontakten zu den Nationalsozialisten wirtschaftlich profitiert hat.[7] Begrüßenswert ist, dass sich Erbprinz Ernst August von Hannover (* 1983) mit großer Offenheit um die Klärung dieser Beziehungen bemüht hat und das entsprechende Archiv des Hauses Wissenschaftlern der Leibniz-Universität Hannover zugänglich gemacht hat. Im Kern geht es bei der Frage der Mitfinanzierung der Schlossrenovierung jedoch nicht um die Unterstützung für eine Dynastie, sondern um das Verhältnis des Landes zu seinen kulturellen Wurzeln. Genau aber darauf muss die Politik eine Antwort geben. Dabei ist es glaubwürdig, dass die notwendigen Renovierungsarbeiten des von dem berühmten Architekten und Hochschullehrer Conrad Wilhelm Hase (1818-1902) im neugotischen Stil erbauten Schloss über die finanziellen Möglichkeiten des Erbprinzen hinausgehen.[8] Unabhängig davon machen es die innerfamiliären Probleme Ernst August nicht leichter.

Ob man einzelne Vertreter des Welfenhauses mehr oder weniger schätzt, darf im Zusammenhang mit einer öffentlichen Förderung keine Rolle spielen. Weitaus bedeutsamer ist die Kenntnis darüber, dass die Vertreter dieser Dynastie die Strukturen des mittelalterlichen Europas und hier insbesondere der heute zum Land Niedersachsen gehörenden ehemals hannoverschen und braunschweigischen Territorien, maßgeblich geprägt haben.[9] Den Dom St. Blasius in Braunschweig würde es ohne die Welfen ebenso wenig geben, wie z.B. die Schlösser in Celle, Wolfenbüttel, Gifhorn, Neustadt a. Rbg. und Hannoversch-Münden, die heute in ihren Mauern nicht nur kunsthistorische Schätze bergen, sondern auch für öffentliche Veranstaltungen vielfältigster Art intensiv genutzt werden. Auch das weltberühmte Anton-Ulrich-Museum in der Löwenstadt oder die international renommierte Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel gäbe es ohne das Welfenhaus nicht. 

Die Braunschweiger, Calenberger und Lüneburger Klöster, Schatzkisten unserer Kultur, sind eindrucksvolle Zeugen der vergangenen Jahrhunderte und gehen allesamt auf welfische Wurzeln zurück. Die mit der Reformation verbundenen gesellschaftlichen Umwälzungen sind ohne Herzogin Elisabeth (1510-1558) und den Lüneburger Herzog Ernst den Bekenner (1497- 1546) nicht denkbar. Die Stadtrechte von Hannover hat der Welfenherzog Otto das Kind 1241 bestätigt und erweitert, nachdem sein Großvater Heinrich der Löwe die Leinestadt stets gefördert hat. Herzog Georg von Calenberg hat mit seiner Residenznahme in Hannover 1636, die gegen den ausdrücklich Willen des hannoverschen Rates erfolgte, den Grundstein dafür gelegt, dass der seinerzeit relativ unbedeutende Marktflecken am Hohen Ufer der Leine heute Landeshauptstadt ist. Und auch die Universitätsgründungen in Helmstedt, Göttingen, Braunschweig und Hannover gehen auf welfische Einflüsse zurück, genauso wie die Anstellung des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1676, auf den sich die Hannoveraner heute gern berufen.  Darüber hinaus wird auch die Heimstatt unseres Landesparlamentes, das Leinschloss, von den Abgeordneten wie selbstverständlich genutzt, aber auch diese gäbe es ohne die Welfen nicht. Diese unvollständige Aufzählung macht bereits deutlich, dass die kulturellen Konturen unseres Landes, die mehr als 800 Jahre von Vertretern des Welfenhauses geprägt wurden, untrennbar mit dieser Dynastie verbunden sind. Die Anerkennung dafür schließt jedoch sachliche Kritik an politischen Fehlentscheidungen und am Verhaltenen einzelner Angehöriger dieses Hauses nicht aus. 

Nun ist ein in Teilen baufälliges Schloss aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Historiker und Kunsthistoriker nicht der Augapfel ihrer wissenschaftlichen Interessen. Dennoch, es ist ein zeitgenössisches Zeugnis, das richtig verstanden nicht nur Glanz und Glamour, sondern auch politisches Versagen symbolisiert. Es ist in diesem Sinne ein Kleinod, das es unter Wahrung landespolitischer Interessen zu pflegen gilt. Gegenteilige Auffassungen sind in diesem Zusammenhang selbstverständlich zu akzeptieren. Warnen möchte ich jedoch vor populistischen Debatten, in welchen das kulturelle Interesse des Landes gegen sozialpolitische Forderungen ausgespielt wird, so, wie dies beim Ankauf des aus dem 12. Jahrhundert stammende Evangeliars Heinrichs des Löwen im Jahr 1983 geschehen ist.  

Die Skepsis über die Sinnhaftigkeit einer finanziellen Mitbeteiligung an der Restauration des Bauwerks durch den Einsatz von Steuergeldern geht leider oft auf eine bestürzende Unkenntnis der historischen Zusammenhänge zurück. Einer der Gründe dafür ist die mangelnde Information über die Landesgeschichte an unseren Schulen. Darüber hinaus fehlt seit Jahrzehnten eine Vorstellung des Landes über den Erhalt und die Pflege der in Niedersachsen befindlichen historischen Einrichtungen. Ein Blick auf das Konzept der Schlösserverwaltung im Freistaat Bayern dürfte in diesem Kontext nicht schaden. Dass es die beiden Städte Hannover und Braunschweig noch nie für nötig hielten, einmal auf Augenhöhe über ihre vielhundertjährige gemeinsame Geschichte nachzudenken, um diese den Menschen näher zu bringen und sie bildungstouristisch zu nutzen, spricht nicht unbedingt für eine Stadt, die sich als Kulturhauptstadt Europas bewirbt. Die Fankurven von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig werden der Politik diese Arbeit jedoch nicht abnehmen!        (Juni 2020)


[1] Der Spiegel. Geschichte 6/2019. S. 24.

[2] Marion Gräfin Dönhoff: Um der Ehre willen. Berlin 2003.

[3] Tyler Whittle: Kaiser Wilhelm II. München 1979, S. 381.

[4] Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte I. München 2014, S. 402f.

[5] Zitiert nach: Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Berlin 2003, S. 569.

[6] https://www.sueddeutsche.de/kultur/adel-ns-regime-widerstand-1.4553120 (5. Juni 2020. 22.00 Uhr).

[7]https://www.braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/article208741611/Welfen-profitierten-von-den-Nazis.html (6. Juni 2020. 17.00 Uhr).

[8] Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bremen Niedersachsen. München 1992, S. 1187f.

[9] Bernd Schneidmüller: Die Welfen. Stuttgart 2000, S. 7.